Händler im Amazon-Marketplace haften im Normalfall nicht für Kundenbewertungen

Händler im Amazon-Marketplace haften im Normalfall nicht für Kundenbewertungen

Autor
Frank Michael Höfinger
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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Urteil vom 20. Februar 2020, Az. I ZR 193/18 ‒ Kundenbewertungen auf Amazon über die wettbewerbsrechtliche Haftung eines Online-Händlers für Kundenbewertungen auf Amazon entschieden. Gegenstand des Verfahrens waren mehrere Kundenbewertungen zu einem Produkt, das der Händler im Amazon-„Marketplace“ anbot. Diese enthielten nach dem Heilmittelwerbegesetz (HWG) unzulässige Aussagen, nämlich über eine medizinisch nicht belegte Wirkung (Schmerzlinderung) von Medizinprodukten (Kinesiologie-Tapes).

Nach dem Urteil des BGH haftet ein Händler für solche Kundenbewertungen nur unter besonderen Umständen, die hier nicht vorlagen. Die Klage eines Wettbewerbsverbands gegen den Händler blieb daher erfolglos.

Der Sachverhalt

Amazon bietet auf seiner Website anderen Online-Händlern im sogenannten „Marketplace“ die Möglichkeit, ebenfalls Produkte anzubieten. Alle Angebote desselben Produkts von verschiedenen Händlern werden automatisch auf einer Produktdetailseite zusammengefasst. Amazon zeigt dort auch sämtliche Kundenbewertungen zu diesem Produkt an. Eine Prüfung der Kundenbewertungen nimmt Amazon nicht vor.

Der beklagte Händler bietet auf Amazon sogenannte Kinesiologie-Tapes an. Er hatte bereits in der Vergangenheit Kinesiologie-Tapes verkauft und dafür mit einer medizinisch nicht belegten Wirkung geworben, nämlich dass die Tapes zur Schmerzlinderung geeignet seien. Ein Wettbewerbsverband hatte den Händler deswegen abgemahnt und der Händler hatte eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Die Kundenbewertungen zu dem Produkt, das unter anderem der beklagte Händler im Amazon-Marketplace anbietet, enthalten Aussagen wie „Schmerzlinderndes Tape!“ und ähnliche Aussagen, die somit eine nicht belegte Wirkung des Produkts behaupten.

Die Werbung mit solchen Aussagen wäre nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 HWG unzulässig (Werbung mit irreführenden Aussagen Dritter). Ein Verstoß gegen ein heilmittelrechtliches Werbeverbot wäre gemäß § 3a UWG auch ein Wettbewerbsverstoß.  Irreführende Werbung ist zudem nach § 5 Abs. 1 UWG wettbewerbswidrig.

Der Wettbewerbsverband nahm den Händler daher erneut auf Unterlassung in Anspruch (und forderte zudem Ersatz der Abmahnkosten und eine Vertragsstrafe).

Die Entscheidung

Der BGH untersucht der Reihe nach alle denkbaren Haftungsgrundlagen und lehnt diese im Ergebnis ab. Ausgangspunkt ist dabei, dass die Kundenbewertungen keine eigenen Werbeaussagen des Händlers sind (anders als die damals zu Recht abgemahnten Werbeaussagen).

Aktives Tun?

Eine Haftung für aktives Tun käme nur in Betracht, wenn der Händler die fraglichen Kundenbewertungen selbst verfasst oder gefälscht hätte. Sie wären ihm auch zuzurechnen, wenn er die Kunden dafür bezahlt hätte. Das alles war hier nicht der Fall.

Zu-eigen-Machen der Kundenbewertungen?

Sodann prüft der BGH, ob sich der Händler die von den Kunden stammenden Aussagen zu eigen gemacht hat: Eigenen Aussagen werden Aussagen Dritter gleichgestellt, die sich der Äußernde zu eigen macht. Diese Rechtsfigur stammt ursprünglich aus dem Presserecht. Sie dient im Presserecht dazu, eine eigene Äußerung von der bloßen Verbreitung fremder Äußerungen abzugrenzen.

Der BGH begründet mit einem Zu-eigen-Machen auch, dass eine Online-Plattform unter bestimmten Umständen urheberrechtlich haftet, wenn ein Nutzer ein Foto hochlädt, ohne die erforderlichen Nutzungsrechte zu haben (BGH Urteil vom 12. November 2009, Az. I ZR 166/07 ‒ marions-kochbuch.de).

Im Wettbewerbsrecht kann das Zu-eigen-Machen fremder Äußerungen ebenfalls zu einer Haftung führen (BGH Urteil vom 18. Juni 2014, Az. I ZR 74/14 ‒ Haftung für Hyperlink zum Setzen eines Links auf eine Website, die unzulässige Aussagen enthält; BGH Urteil vom 19. März 2015, Az. I ZR 94/13 – Hotelbewertungsportal  zur Haftung des Betreibers eines Bewertungsportals für die Bewertungen der Nutzer).

Maßgeblich ist dabei immer, ob der möglicherweise Haftende „nach außen erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die Äußerungen Dritter übernimmt oder den zurechenbaren Anschein erweckt, er identifiziere sich mit ihnen“. Im vorliegenden Fall stellt der Bundesgerichtshof überzeugend fest, dass Kundenbewertungen auf Amazon objektiv erkennbar die persönlichen Einschätzungen der Kunden sind und nicht aus der Sphäre des Händlers stammen.

Haftung als Gehilfe?

Eine Haftung des Händlers als Gehilfe scheidet ebenfalls aus: Eine Privatperson, die ein Produkt bewertet, nimmt keine geschäftliche Handlung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG vor. Es gibt also schon keine wettbewerbswidrige Handlung, die der Händler als Gehilfe unterstützen könnte.

Verletzung einer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht?

Zuletzt prüft der BGH, ob der Händler eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verletzt hat: Das kommt dann in Betracht, wenn der Händler verpflichtet wäre, gegen Kundenbewertungen vorzugehen, die unzulässige Aussagen enthalten. Die Reichweite solcher Pflichten ist stets auf Grundlage einer Interessenabwägung zu bemessen. Der BGH hebt hier die folgenden Gesichtspunkte hervor: Kundenbewertungssysteme sind grundsätzlich gesellschaftlich erwünscht. Die Abgabe einer Bewertung und die Kenntnisnahme der Bewertungen anderer Kunden sind grundrechtlich geschützt (Meinungsäußerungsfreiheit bzw. Informationsfreiheit). Kundenbewertungssysteme fördern den fairen Preis- und Leistungswettbewerb.

Der Händler hatte angesichts dessen nicht die Pflicht, Kundenbewertungen mit unzulässigen Aussagen zu unterbinden. Er hat daher keine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verletzt.

Bedeutung für die Praxis

Händler, die im „Marketplace“ von Amazon aktiv sind, haben erhebliche Haftungsrisiken: Sie haften für unrichtige Herstellerpreisempfehlungen (BGH Urteil  vom 3. März 2016, Az. I ZR 110/15 ‒ Herstellerpreisempfehlung bei Amazon). Sie haften auch dann, wenn andere Anbieter desselben Produkts die Produktbeschreibung ändern und nunmehr Markenrechte verletzt werden (BGH, Urteil vom 3. März 2016, Az. I ZR 140/14 ‒ Angebotsmanipulation bei Amazon).

Die möglicherweise sehr zahlreichen Kundenbewertungen zu einem Produkt müssen Händler dagegen nicht auf Rechtsverstöße überprüfen.

 

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