Gewinnherausgabe für „Medienopfer“ nach Schweizer Vorbild? – Kein Modell für das deutsche Presserecht

Gewinnherausgabe für „Medienopfer“ nach Schweizer Vorbild? – Kein Modell für das deutsche Presserecht

Autor
Dr. Martin Schippan
Dr. Martin Schippan Rechtsanwalt, Partner
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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Das Kantonsgericht Zug hat einer ehemaligen Politikerin einen Anspruch auf Gewinnherausgabe gegen eine große Boulevardzeitung zugesprochen, weil diese ihre Persönlichkeitsrechte verletzt hatte. Eine solche Form der Entschädigung bzw. des Schadensersatzes kennt das deutsche Presserecht nicht. Und die Entscheidung aus der Schweiz bietet auch keinen Anlass, einen derartigen Anspruch zukünftig in Deutschland zu etablieren.

Der Schweizer Fall

Die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ hat in mehreren Artikeln über die ungeklärten Folgen einer Landammann-Feier im Schweizer Kanton Zug im Dezember 2014 berichtet. Eine Teilnehmerin des Festes, eine ehemalige Politikerin, wachte am Morgen nach der Feier orientierungslos auf; in ihrem Intimbereich und ihrer Unterwäsche wurde die DNA von zwei Männern festgestellt. Sie geht von einer Verabreichung von KO-Tropfen und einer anschließenden Vergewaltigung aus; einer der Männer spricht von einvernehmlichen sexuellen Handlungen. Die Vorfälle sind bis heute ungeklärt; es gab keine Verurteilungen. Zahlreiche Schweizer Medien berichteten ausführlich und identifizierend, so auch der „Blick“ in mehreren Artikeln mit dem Bildnis und dem Namen der Politikerin.

Nach einem Teilentscheid vom 22. Juni 2022, demzufolge der beklagte Verlag Informationen wie Anzeigentarife, Tausender-Kontaktpreise und die Anzahl der Seitenaufrufe für die Gewinnberechnung offenlegen musste, hat das Kantonsgericht Zug den Verlag auf der Grundlage der von ihm herausgegebenen Informationen nun am 22. Januar 2025 zu einer Gewinnherausgabe von 309.531,00 Schweizer Franken sowie einer Entschädigung in Höhe von 112.495,50 Schweizer Franken an die Politikerin verurteilt. Der Entscheid ist nicht rechtskräftig; den Parteien steht die Berufung an das Obergericht des Kantons Zug offen.

Für eine solche Gewinnherausgabe ist nach dem Schweizer Recht eine widerrechtliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts, eine Entstehung des Gewinns und ein Kausalzusammenhang zwischen der unrechtmäßigen Verletzung und dem erzielten Gewinn erforderlich, nicht jedoch ein Verschulden des handelnden Verlags. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass dem Schweizer Gericht der Nachweis der „abstrakten“ Kausalität ausreicht: Es kommt zu dem Schluss, dass die persönlichkeitsverletzenden Artikel aufgrund ihrer Aufmachung und Ausrichtung geeignet waren, zur Absatzförderung von Medienerzeugnissen des Verlags und damit zur Gewinnerzielung beizutragen. Wenn dagegen ein „konkreter“ Kausalzusammenhang nachgewiesen werden müsste, also eine Gewinnerzielung unmittelbar aufgrund der in Rede stehenden Artikel, wäre eine Gewinnherausgabe aufgrund der hohen Beweisanforderungen für Betroffene von vornherein illusorisch, so die Zuger Richter.

Und nach deutschem Recht?

Nach deutschem Recht wäre ein solches Urteil maßgeblich aus zwei Gründen nicht möglich: Zum einen kennt das deutsche Presserecht einen derartigen Anspruch auf Gewinnherausgabe nicht. Zum anderen ist für eine Verurteilung zur Zahlung aufgrund eines Presseartikels immer ein Verschulden und der unbedingte Nachweis einer „strengen“ Kausalität zu erbringen. Beides aus gutem Grund. Allein die Möglichkeit, aufgrund einer Presseberichterstattung unverschuldet zu einer erheblichen Zahlung verurteilt zu werden, würde einen sogenannten „chilling effect“ auslösen, die Angst, von den Grundrechten der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit zukünftig keinen Gebrauch zu machen, um sich vor unliebsamen Folgen zu schützen. Und auch der Nachweis der strengen Kausalität ist unbedingt zu erbringen. Nur wenn eine Kausalität zwischen einer Missachtung der pressemäßigen Sorgfalt und der rechtswidrigen Veröffentlichungen vorliegt (haftungsbegründende Kausalität) und der Schaden zusätzlich in äquivalenter und adäquat-kausaler Weise auf der angegriffenen Berichterstattung beruht (haftungsausfüllende Kausalität), ist der Raum für eine Verurteilung zum Schadensersatz überhaupt erst eröffnet.

Fazit

Die Kategorien, nach denen auf der Grundlage des Presserechts in Deutschland Schadensersatz zu leisten ist, sind erschöpfend und abschließend geregelt. Es bedarf keiner weiteren Kategorie einer Gewinnherausgabe mit unklaren Konturen und einem abgesenkten Kausalitätserfordernis. Dies schon gar nicht in der Ausgestaltung als verschuldensunabhängiger Anspruch.

Ein vergleichbares, die Interessen aller Beteiligte wahrendes Ergebnis bekommt das deutsche Recht auch über die Geldentschädigung hin. Kriterien wie Aufmachung, Auflagenstärke und Abrufzahlen spielen hier als Bemessungsfaktoren für die Höhe der Geldentschädigung durchaus eine gewichtige Rolle, wenn ein Gericht aggressive Boulevardmedien in ihre Schranken weisen möchte.

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