BAG: Regress beim Arbeitnehmer bei Scheinselbständigkeit

Autor
Dr. Florian Sperling
Dr. Florian Sperling Rechtsanwalt, Partner
Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Die Risiken einer „Scheinselbständigkeit“ treffen grundsätzlich nahezu ausschließlich den Arbeitgeber. Wenn vom Arbeitsgericht bzw. der Deutschen Rentenversicherung ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis festgestellt wird, genießt der Scheinselbständige die Rechte eines Arbeitnehmers (Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und an Feiertagen, bezahlter Urlaub, ggf. Kündigungsschutz usw.). Der Arbeitgeber muss die Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen – und zwar die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmeranteile. Nach einer neueren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts muss nun aber auch der Arbeitnehmer mit nachteiligen finanziellen Folgen einer Scheinselbständigkeit rechnen (BAG, Urteil vom 26. Juni 2019, Az.: 5 AZR 178/18).

Der Sachverhalt

Der Beklagte war bei der Klägerin jahrelang als freier IT-Mitarbeiter tätig. Sein Stundensatz betrug zuletzt EUR 60,00 netto. In einem vom Beklagten eingeleiteten Statusfeststellungsverfahren hat die Deutsche Rentenversicherung eine sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung („Scheinselbständigkeit“) bei der Klägerin festgestellt. Die hiergegen gerichtete Klage vor den Sozialgerichten blieb erfolglos. Die Klägerin musste für den Beklagten Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) nachzahlen.

Grundsätzlich ist in einem solchen Fall ein Regress des Arbeitgebers beim Arbeitnehmer nicht möglich. Insbesondere verbietet es das Sozialgesetzbuch, die Sozialversicherungsbeiträge vom Arbeitnehmer ersetzt zu verlangen.

Mit einer Klage vor den Arbeitsgerichten verlangte die Klägerin Rückzahlung „zuviel“ geleisteter Honorare in Höhe von EUR 106.603,38 sowie zuletzt zweitinstanzlich die Erstattung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung in Höhe von EUR 6.007,25.

Die Klägerin argumentierte, die Vergütung als freier Mitarbeiter habe deutlich über der üblichen Vergütung eines vergleichbaren Arbeitnehmers gelegen. Die über diese übliche Vergütung hinausgehenden Honorarzahlungen sowie die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge habe der Beklagte ohne Rechtsgrund erlangt und deshalb zurückzugewähren.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in letzter Instanz wie folgt entschieden:

Der Arbeitgeber kann nach § 812 BGB die Rückzahlung überzahlter Honorare verlangen, wenn rückwirkend der Arbeitnehmerstatus eines vermeintlich freien Mitarbeiters festgestellt wird. Mit einer solchen Feststellung steht zugleich fest, dass ein Rechtsgrund für die Honorarzahlungen nicht bestand, soweit die im Arbeitsverhältnis übliche Vergütung niedriger ist, als die für das freie Dienstverhältnis vereinbarte Vergütung.

Es kann in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass die für freie Mitarbeit vereinbarte Vergütung der Höhe nach auch für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer verabredet worden sei. Denn die Vergütung des freien Mitarbeiters soll typischerweise Risiken abdecken, welche dieser – anders als der Arbeitnehmer – selbst trägt.

Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin ist nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen. Dies würde eine positive Kenntnis vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraussetzen, die hier nicht angenommen werden kann. Dass die Klägerin hinsichtlich der Einordnung des Rechtsverhältnisses als freies Dienstverhältnis Zweifel hatte, führt nicht zur Anwendung von § 814 BGB. Selbst wenn die Unkenntnis der Klägerin von der zutreffenden Rechtslage auf grober Fahrlässigkeit beruht hätte, würde das den Rückforderungsanspruch nicht ausschließen.

Das BAG konnte im vorliegenden Fall nicht abschließend entscheiden, welche Vergütung für Arbeitnehmer üblich gewesen wäre. Es hat die Sache deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Die Auswirkungen für die Praxis

Während das Risiko einer Scheinselbständigkeit bislang nahezu ausschließlich den Arbeitgeber getroffen hat und ein Regress beim Arbeitnehmer nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich war, muss nun auch der Arbeitnehmer mit nachteiligen Folgen im Falle der Feststellung eines Arbeitsverhältnisses bzw. einer abhängigen Beschäftigung rechnen.

Denn nicht selten werden in der Praxis die an einen Selbständigen gezahlten Honorare deutlich über dem liegen, was einem Arbeitnehmern für eine vergleichbare Tätigkeit gezahlt wird.

Wenn ein freier Mitarbeiter vor den Arbeitsgerichten ein Arbeitsverhältnis geltend macht oder ein Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV zur Statusfeststellung durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung einleitet, kann der Schuss für ihn also im Ergebnis auch nach hinten losgehen.

 

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