Verletzung des deutschen Urheberrechts nur bei hinreichendem Inlandsbezug

Verletzung des deutschen Urheberrechts nur bei hinreichendem Inlandsbezug

Autor
Frank Michael Höfinger
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Grenzüberschreitende Urheberrechtsverletzungen kommen in der Praxis häufig vor, naturgemäß vor allem bei Internetsachverhalten. Eine Klage wegen einer solchen Urheberrechtsverletzung wirft stets Fragen des Prozessrechts, des internationalen Privatrechts und des materiellen Rechts auf: Ist das angerufene deutsche Gericht für die Entscheidung des Rechtsstreits international zuständig? Ist der Rechtsstreit nach deutschem Urheberrecht zu beurteilen? Wenn beides der Fall ist, stellt sich die Frage, ob die streitgegenständliche Nutzung deutsches Urheberrecht verletzt.

In den vergangenen Jahren hatten deutsche Instanzgerichte immer wieder über diese Fragen zu entscheiden (jüngst etwa Landgericht Berlin II, Urteil vom 28. August 2024, Az. 15 O 260/22, siehe dazu unseren Blog-Beitrag unter https://www.lausen.com/blog/urheberrecht-im-internet-verletzt-schadensersatz-in-deutschland-fuer-die-welt/. Zur  internationalen Zuständigkeit und zum anwendbaren Recht gibt es bereits Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch des Europäischen Gerichtshofs, da insoweit unionsrechtliche Vorschriften maßgeblich sind.

Nunmehr hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 5. Dezember 2024, Az. I ZR 50/24 – Produktfotografien auch zur Verletzung des deutschen Urheberrechts durch eine Nutzungshandlung mit Auslandsbezug eine richtungweisende Entscheidung getroffen: Deutsches Urheberrecht ist nur verletzt, wenn Inlandsbezug besteht; bei einer Nutzungshandlung im Internet ist die bloße Abrufbarkeit in Deutschland dafür nicht hinreichend.

Sachverhalt

Die Klägerin macht ausschließliche Nutzungsrechte an einer Reihe von Produktfotografien geltend. Die Beklagte, die ihren Sitz in Deutschland hat, betreibt verschiedene Onlineshops.

Die Klägerin fand in der Bildersuche von Google Vorschaubilder ihrer Produktfotografien. Die Vorschaubilder führten jeweils auf eine Landingpage, auf der das dortige Bild jedoch nicht (mehr) abrufbar war. Die Landingpages gehörten zu zwei von der Beklagten betriebenen Onlineshops mit den Top-Level-Domains .ua und .kz für die Ukraine bzw. Kasachstan; sie enthielten Text in kyrillischer Schrift mit Ausnahme der deutschsprachigen Artikelbeschreibungen und des Hinweises, dass keine Produktfotografien angezeigt werden könnten („Entschuldigung, es ist ein Fehler aufgetreten.“). Auf einen Testkauf in dem Onlineshop mit der kasachischen Top-Level-Domain wurde die Ware von Deutschland aus nach Kasachstan versandt.

Die Klägerin erhob nach erfolgloser Abmahnung beim Landgericht Hamburg Klage, um der Beklagten die öffentliche Zugänglichmachung der Produktfotografien in der Bundesrepublik Deutschland über Internetsuchmaschinen verbieten zu lassen; ferner beantragte sie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der Abmahnungskosten und zur Auskunftserteilung sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten. Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische Oberlandesgericht hielten die Klage für unbegründet, da es an einer Verletzung deutschen Urheberrechts fehle.

Entscheidung des Gerichts

Der Bundesgerichtshof bejaht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Diese ergibt sich hier schon aus dem Sitz der Beklagten in Deutschland gemäß Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Brüssel-Ia-VO (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012). Auf den Erfolgsort nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel-Ia-VO kam es daher nicht an (ein Erfolgsort in Deutschland hätte übrigens vorgelegen, da es nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bei Urheberrechtsverletzungen im Internet für einen deliktischen „Erfolg“ im Sinne dieser Vorschrift genügt, dass ein Werk an einem Ort abrufbar ist).

Das anwendbare Recht ist gemäß Art. 8 Abs. 1 Rom-II-VO (Verordnung (EG) Nr. 864/2007), so wie schon nach der früheren deutschen Rechtsprechung, nach dem sogenannten Schutzlandprinzip zu bestimmen: Danach ist auf Ansprüche aus einer Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Staates anzuwenden, für den der Schutz beansprucht wird, hier also deutsches Urheberrecht.

Auch der Bundesgerichtshof erkannte indes keine Verletzung des deutschen Urheberrechts: Für die Verletzung des deutschen Urheberrechts durch eine Handlung mit Auslandsberührung sei eine relevante Verletzungshandlung im Inland erforderlich. Diese besteht nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs wie auch bei anderen Immaterialgüterrechten nur bei hinreichendem Inlandsbezug der Handlung, d.h. wenn ein Onlineangebot bestimmungsgemäß in Deutschland abrufbar ist.

Diese Einschränkung leitet der Bundesgerichtshof aus dem im gesamten Immaterialgüterrecht geltenden Territorialitätsprinzip ab. Da beispielsweise ein deutsches Kennzeichenrecht sich nur auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erstreckt, könne nicht jedes auch in Deutschland abrufbare Internetangebot für Dienstleistungen oder Waren aus dem Ausland bei Identität oder Verwechslungsgefahr mit einem inländischen Kennzeichen kennzeichenrechtliche Ansprüche auslösen. Wenn das dem Inanspruchgenommenen vorgeworfene Verhalten seinen Schwerpunkt im Ausland hat, müsse eine relevante Verletzungshandlung in Deutschland anhand einer Gesamtabwägung der betroffenen Interessen und Umstände festgestellt werden. Ansonsten drohe eine uferlose Ausdehnung des Schutzes nationaler Kennzeichenrechte; diese könne zu einer unangemessenen Beschränkung der wirtschaftlichen Entfaltung ausländischer Unternehmen führen. Diese Überlegungen gelten nach Auffassung des Bundesgerichtshofs für das Urheberrecht in gleicher Weise.

Bei der gebotenen Abwägung sind auf der einen Seite die Auswirkungen der Handlung auf die inländischen Interessen des Rechtsinhabers zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, ob „die Rechtsverletzung sich als unvermeidbare Begleiterscheinung technischer oder organisatorischer Sachverhalte darstellt“, auf die Inanspruchgenommene keinen Einfluss hat, oder ob er „zielgerichtet von der inländischen Erreichbarkeit profitiert“. Die bloße Möglichkeit, dass in Deutschland ansässige nicht-deutschsprachige Interessenten eine ausländische Internetseite bevorzugen könnten, begründe keinen hinreichenden Inlandsbezug. Auch der Umstand, dass der Handelnde darauf verzichtet, den Zugriff auf sein Onlineangebot von Deutschland aus anhand der IP-Adresse der Nutzenden zu erschweren (Geoblocking), genüge dafür nicht. Der Bundesgerichtshof betont, dass die Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit – für die es wie erwähnt auf die bloße Abrufbarkeit ankommt – nicht auf die Frage der Verletzung des deutschen Urheberrechts übertragbar ist.

Der Bundesgerichtshof bestätigt die vom Hanseatischen Oberlandesgericht vorgenommene tatrichterliche Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Zusammenfassend referiert er die vom Hanseatischen Oberlandesgericht maßgeblich herangezogenen Kriterien als „Sprache, Präsentation, Kontaktadressen, beworbene Produkte, Top-Level-Domain, Tätigkeitsbereich des Anbieters, Nutzer, Verkäufe und Geschäftskontakte im Inland, Werbebanner und Links auf fremde Seiten bestimmter nationaler Zuordnung sowie Disclaimer“.

  • Der Sitz der Beklagten und die Auftragsabwicklung in Deutschland begründeten keinen hinreichenden Inlandsbezug.
  • Die Lieferung von Waren aus Deutschland (nach Kasachstan) besage nichts über die Ausrichtung der Angebote.
  • Aus den Angaben zur Erreichbarkeit per Telefon und E-Mail ergeben sich kein Bezug zu Deutschland.
  • Die Top-Level-Domains der Onlineshops indizierten eine Ausrichtung auf die Ukraine bzw. Kasachstan.
  • Die deutschen „Sprachreste“ in den angezeigten Artikelbeschreibungen seien durch das Zurückgreifen auf identische Produktfotografien zu erklären, ohne dass sich daraus ein relevanter Inlandsbezug ergebe. Auch die deutschsprachige Fehlermeldung begründe keinen Inlandsbezug, da sie dann erscheine, wenn gerade keine Bestellung möglich sei.
  • Dass nach den Verkaufsbedingungen des kasachischen Onlineshops „die Vorschriften am Sitz des Verkäufers“ und damit deutsches Recht anwendbar sein soll, habe keinen Einfluss auf die Attraktivität der Onlineangebote für die Nutzenden, sondern diene vornehmlich dem eigenen Interesse des Verkäufers; dies sei daher kein Indiz für eine Ausrichtung der Website.
  • Inhalt und Sprache der Verkaufsbedingungen und die verwendete kasachische und ukrainische Währung sprächen gegen eine Ausrichtung auf Deutschland.

Im Ergebnis seien die Onlineshops auf Kasachstan bzw. die Ukraine ausgerichtet, nicht jedoch auf Deutschland.

Praxishinweise

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat erhebliche Bedeutung für das Vorgehen gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet. Der Kläger muss dazu vortragen, woraus sich die bestimmungsgemäße Abrufbarkeit der unerlaubt genutzten Schutzgegenstände in Deutschland ergibt. Für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung muss der Antragsteller die den Verfügungsanspruch begründenden Tatsachen glaubhaft machen. Er muss daher dem angerufenen Gericht Screenshots, aus denen Domainname, Sprache einer Website, die für Preisangaben genutzte Währung, die Kontaktmöglichkeiten laut Impressum und ggf. weitere Indizien für die Ausrichtung auf Deutschland ersichtlich sind, als Glaubhaftmachungsmittel vorlegen.

Unklar bleibt nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs leider, in welchem Sinne die „Ausrichtung“ auf das Schutzland zu verstehen ist, nämlich als rein negative Abgrenzung oder als positiv festzustellende Voraussetzung. Konkret formuliert:

  • Besteht hinreichender Inlandsbezug schon dann, wenn eine Website nicht vorrangig auf andere Länder ausgerichtet ist (also sozusagen kein erkennbarer Auslandbezug festzustellen ist) und daher – auch – auf Deutschland ausgerichtet ist?
  • Oder ist eine im Hinblick auf regionale Bezüge völlig „neutrale“ Website (zum Beispiel mit für ein internationales Publikum interessanten Inhalten, in englischer Sprache, unter einer generischen Top-Level-Domain wie .com oder .org,  und mit der schlichten Angabe einer E-Mail-Adresse als Kontaktmöglichkeit) auf kein Land der Welt – auch nicht auf Deutschland – „ausgerichtet“?

Je nachdem, von welcher Seite her man das Abgrenzungskriterium betrachtet, könnte die Forderung nach hinreichendem Inlandsbezug das Vorgehen gegen Urheberrechtsverletzungen im Onlinebereich künftig in bedenklicher Weise erschweren. Hierzu muss man die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abwarten.

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